Der geneigte Wanderer ist gut vorbereitet: Er hat bereits am Abend zuvor sein Reisemobil auf den wunderbar ruhig gelegenen Parkplatz inmitten des Nationalparks gestellt, der Wecker steht auf 8 Uhr, die Wanderstiefel sind frisch gewachst, der Rucksack ist gepackt. Nun ist es 6 Uhr morgens und so langsam schiebt sich das Trommeln des Regens in das Bewusstsein des Möchtegern-Wanderers vor. Wie sagte er doch gestern noch zu seinem Weibe?
- Regen gehört nun einmal dazu, schließlich sind wir in Schweden!
- Natur ist Natur!
- Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Bekleidung!
- So ein bisschen Regen ist gut für das Immunsystem!
- Bei einer Achtstundenwanderung ist zwangsläufig auch mal ein Schauer dabei!
- Bei Regen beginnt die Natur erst richtig zu duften!
- Ewig diese Sonne – nicht gut für die Haut, nicht gut für den Kreislauf…….
Tja, und wer hätte das gedacht? Nun nimmt diese Sch….natur das wörtlich! Es regnet nicht, es schüttet! Kein Unterschied zu einem tropischen Taifun, nur kälter. Na ja, noch sind es ja zwei Stunden, denkt sich der optimistische Wanderer und versucht wieder einzuschlafen. Kaum eingeschlummert, träumt er von unberührter Natur, von Moltebeeren, Blaubeeren und Unmengen leckerer Pilze, von Wasserfällen, Wildbächen und stillen, verträumten Seen, von Hubschraubern…..Hubschraubern? Langsam merkt der erwachende Wanderer, dass er gar nicht mehr schläft. Das Geräusch, das da immer lauter wird, klingt tatsächlich wie ein Helikopter und warum fängt das Auto an zu wackeln? Schlagartig sind der neugierige Wanderer und sein holdes Weib hellwach: Ein Hubschrauber? Hier? Auf einem Parkplatz? Schon stehen sie im Bett und schauen durchs offene Heki (wer denkt jetzt schon an den Regen, der von nun an sanft das Bett befeuchtet?) und fassen es nicht: Vor ihnen, gerade zehn Meter entfernt, steht tatsächlich so ein Fluggerät mit drehendem Rotor und sofort ist ihnen klar: Das muss ein Notfall sein, ein Wandersmann (oder eine Wandersfrau) hat sich verletzt und nun naht Hilfe aus der Luft! Aber was ist das? Was laden die dort aus? Stangen? Taschen? Kästen? Und nun steigen auch noch vier Menschen aus, die nicht aussehen wie Notarzt, Krankenschwester oder Rettungssanitäter! Inzwischen haben sich die Augen an den Wassernebel, der zwischen ihren Augen und dem Hubschrauber schwebt, gewöhnt (die Brillen liegen immer da, wo man sie nicht braucht: Auf dem Amaturenbrett!) und nun sehen sie die Aufschrift und können es nicht glauben: „FISKEFLUG“ steht da in großen Lettern geschrieben! Das sind Angler! Die kommen zum Lachse fangen! Während die staunenden Wanderer sich fassungslos ansehen, hebt das Ding auch schon wieder ab, nicht ohne noch einen ordentlichen Schwall Wasser auf sie herabregnen zu lassen.
Nun sind sie aber auch so etwas von wach, an Schlaf ist nicht mehr zu denken, also aufstehen, frühstücken und sich mit der Situation abfinden, dass heute wohl nur ein Lesetag herausspringen wird. Kaum ist das geschehen, sagt sich das Wetter: „So einfach kommt ihr mir nicht davon!“ und es hört langsam auf zu regnen. Nicht ganz, denn so simpel will es die Entscheidung den Wanderern nicht machen, aber doch fast! Gequält sehen sich die Beiden an: Laufen sie los, fängt es sicher wieder richtig an – bleiben sie, hört es genau so sicher ganz auf und ein schöner Tag ist verschenkt! Oh, Entscheidungsnot!! Wird es dahinten nicht heller? Ist das nicht ein Stückchen blauer Himmel? Oder ist das nur dunkelgrau? Es hilft nichts – sie müssen es wagen! Also rein in die Klamotten, Regensachen bereit und auf geht’s.
Nun ist das Wandern in Schwedens Nationalparks nicht zu vergleichen mit dem Wandern – sagen wir mal – auf dem Rennsteig. Wanderrundwege, erst recht, wenn man sie als Tagestouren plant, folgen eigenen Gesetzen:
- Zu Anfang ist der Weg sehr eben und leicht zu gehen, um den fremden Wanderer in Sicherheit zu wiegen.
- Der Weg wird erst dann schlechter, wenn man so mutig geworden ist, dass man beginnt, seine eigenen Fähigkeiten zu überschätzen.
- Zu überquerende Geröllfelder haben erst dann keine Markierung mehr, wenn man soweit drin steckt, dass man auch beim Umkehren nicht mehr zurückfindet.
- Es beginnt immer dann zu regnen, wenn die letzte Schutzhütte mindestens drei Kilometer hinter einem und die nächste acht Kilometer vor einem liegt.
- Mückenschwärme befinden sich exakt dort, wo der Wanderer einem menschlichen Bedürfnis nachgehen möchte.
- Auf einem dreißig Kilometer langen Rundweg fehlen die Markierungen grundsätzlich auf den letzten vier Kilometern, so dass der Wanderer, sollte ihn der Mut verlassen, 26 Kilometer zurücklaufen muss.
- Ein laut Beschreibung „einfacher Weg“ enthält im Allgemeinen Steine in Medizinballgröße. Dazwischen befinden sich dann Miniatursümpfe, Weichsandgebiete und glitschige Granitflächen, manchmal auch fast schiffbare Flüsse.
- Traue niemals den Hinweisschildern mit Kilometerangaben – in Schweden hatte man früher Linksverkehr und deshalb rechnet man scheinbar auch noch in Meilen, schreibt aber „km“ dahinter, um sich einen modernen Anstrich zu geben.
- Nach zwei Dritteln des Weges fehlen plötzlich eingezeichnete Brücken, um den Pfadfindergeist des Wanderers zu prüfen (es können auch Moore sein, in die der Weg hineinführt, aber nicht wieder hinaus!)
- Freundlicherweise sind kilometerlange Bohlenwege verlegt. Sollte es jedoch regnen, werden diese so rutschig, dass der Wanderer gut beraten ist, wenn er daneben läuft, auch wenn er bis zu den Knöcheln im Wasser steht.
- Der Wegweiser, den man unbedingt braucht, fehlt immer.
Ist der Wanderer bereit, diese Regeln zu akzeptieren, dann allerdings kann ihm nichts mehr geschehen und ob Ihr es glaubt oder nicht:
Schwedens Nationalparks machen (trotzdem) süchtig!!!!!
Und: Natürlich sind wir nass geworden, und wie! Sogar zweimal, aber schön war’s trotzdem!