Der Zollhorror 2013

Mein neues Jobteam ist extrem nett und hat mir einen Tag frei gegeben, damit ich unser Reisemobil mit Namen „Roadrunner“ nach vier Jahren USA aus dem Hafen in Hamburg abholen kann. Unsere Freunde Elke und Horst sind mindestens genau so nett und können meiner Bitte nicht widerstehen, mich abzuholen und eben dorthin zu bringen und so stehen sie wie verabredet um 10 Uhr (ab 11 Uhr ist der Wagen abholbereit!) vor unserer Haustür und los geht es. Relativ schnell und problemlos finden wir dank der Beschreibung von „Seabridge“ das Zollgebäude in der Indiastraße im ehemaligen Freihafen. Die Bemerkung von „Seabridge“, es lägen noch keine Erfahrungswerte vor, wie lange die Abfertigung dauere, hätte mich ja stutzig machen sollen, aber ein Optimist wie ich glaubt eben an das Gute im Menschen – was ich dann erleben durfte, sprengt aber selbst den Erfahrungsschatz eines „Weitreisenden“. Elke und Horst warten draußen auf mich (zum Glück haben sie ihr Womo genommen, da ist das Warten angenehmer!) und ich begebe mich in die heiligen Hallen. Zwölf große Tresen, sechs links und sechs rechts, stehen vor mir in einer recht geräumigen Halle, dahinter Milchglastrennwände und hinter denen je Tresen mindestens zwei Zollbeamte. Nur Tresen 1 und 7 haben geöffnet – das scheint normal zu sein, denn in meiner „Handlungsanweisung“ steht, ich solle mich an Tresen 7 wenden.

 

Munter marschiere ich dorthin, stelle mich an und als ich dran bin, werde ich sofort leicht genervt belehrt, dass alle, aber auch alle Besucher sich zuerst am Tresen 1 anmelden sollen. Also zurück, neu am Tresen 1 angestellt (inzwischen stehen da schon ein paar Leute mehr!) und nach einer Viertelstunde teilt mir eine sanft lächelnde Beamtin mit, ich solle doch zum Tresen 7 gehen, dort sei man schließlich zuständig. Wieder zurück am Tresen 7 nimmt man sich nun – warum auch immer!? – meiner an. Meine Erfahrung lehrt mich, zu solchen Anlässen immer alle Papiere, die ich über, zum und vom Fahrzeug besitze, im Original oder zumindest in Kopie mitzunehmen. Diesen Stapel übergebe ich nun dem Beamten, der damit sofort hinter der Milchglasscheibe verschwindet. Als er 15 Minuten später wieder kommt, hat er – na? Richtig: ein sorgenvolles Gesicht aufgesetzt  und meint, da gäbe es ein Problem, so einfach wie ich mir das vorstelle, sei das Ganze nicht. Nun hatte ich dem guten Mann noch gar nicht erzählt, was ich mir so vorstellen würde, aber die Hamburger Zollbeamten weisen in dieser Beziehung wohl hellseherische Qualitäten auf. Ich wäre ja länger als drei Jahre in den USA gewesen und so wäre das ja wohl ein Wiederimport. Geduldig erkläre ich, dass ich stolzer Besitzer eines NATO-Visums bin, der Wagen zum Umzugsgepäck gehört und damit kein Wirtschaftsgut ist, eben alles, was man aus den abgegebenen Papieren leicht ersehen kann, wenn man z. B. Zollbeamter von Beruf ist. Er drückt mir eine Zollerklärung in vierfacher (!) Ausfertigung in die Hand, so eine, wie ich sie längst für meinen gesamten Umzug ausgefüllt habe, und meint, der Wagen stünde ja bis jetzt nirgendwo auf den Umzugspapieren, also müsse ich das jetzt nachtragen – nein, Kohlepapier könne er mir nicht geben, das müsse ich nun eben viermal ausfüllen. Das tue ich denn auch im Stehen (es gibt in der ganzen Halle nur drei Stühle!) an einem der leeren Tresen – davon gibt es ja zum Glück genug. Nun muss ich zurück zum Tresen 1, an dem inzwischen eine größere Anzahl an Truckfahrern steht und wartet – die Stimmung in der Schlange ist nicht die beste und wird auch nicht besser, als ein neu angekommener Beamter ein Tablett mit Kuchen in der Hand hält und lauthals verkündet: „Kinder, jetzt ist erst mal Kuchentime!“ und mehrere Beamte, vor allem hinter Tresen 1 und 7, sich spontan zu einer wohlverdienten Pause versammeln und uns in der Schlange einfach stehen lassen.

 

Als ich endlich wieder einmal an der Reihe bin, gibt mir die Beamtin meine mühsam vierfach ausgefüllte Zollerklärung gleich wieder zurück: „Die nehmen sie am besten wieder an sich. Wenn sie nachher (!!) wiederkommen, habe ich wahrscheinlich schon längst Feierabend. Sie sollten sich endlich an Schalter 7 ihren Verwahrwechel abholen (diese Bezeichnung habe ich in diesem Moment zum ersten Mal gehört, inzwischen bin ich Experte!), sonst bekommen sie heute ihr Auto nicht mehr. Also, inzwischen leicht geladen, wieder zurück zum Schalter 7. Der Beamte strahlt mich an, als ich nach relativ kurzer Wartezeit wieder dran bin (vielleicht hat ihn der Kuchen milde gestimmt?) und meint, Schalter 1 und 7 hätten sich abgestimmt, er würde den Verwahrwechsel vorbereiten und ich solle nun doch die Zollerklärung an Schalter 1 abgeben – ja wollen die mich denn nur verarschen? Meine gute Kinderstube und meine Erfahrungen vieler Amtsstuben in Dritte-Welt- Ländern raten mir ruhig zu bleiben. Ich stelle mich wieder an Schalter 1 an – zum wievielten Mal eigentlich? – und bin auch nicht weiter überrascht, als nach längerer Wartezeit (inzwischen kenne ich einige der Truckerfahrer schon beim Namen!) die Dame hinter dem Tresen leicht mürrisch mitteilt, sie hätte mir doch schon erklärt, dass ich den Verwahrwechsel… Also zurück zu Schalter 7. Hier hat inzwischen zu meinem großen Unglück  ein Wachwechsel stattgefunden. Der neue Kollege ist nur zur Vertretung da und – nein, der Kollege hätte ihm nichts mitgeteilt, erst recht nichts von einem vorbereiteten Verwahrwechsel. Er würde aber, da er sich auch nicht so gut auskenne, den Kollegen jetzt anrufen, ich solle mich doch einfach hinsetzen und ein wenig ausruhen – ich wirke irgendwie gestresst! Wohin soll ich mich denn bitte setzen? Aber ist auch egal. Nach 15 Minuten kommt der Beamte zu mir und teilt mir mit, dass sich der Kollege einfach nicht melde und nun müssten wir wohl doch noch einmal von vorne anfangen. Ich gebe ihm wieder meine Papiere und alle Informationen, die ich habe und dann kommt er mit einem Papier, das ich schon gut kenne und bereits unterschrieben hatte. Als ich ihm das mitteile, bereue ich es sofort, denn nun wird auch sein Gesicht sorgenvoll – es könnte ja sein, dass der Kollege bereits den Verwahrwechsel angeordnet hätte und dann könnte ich ja zwei Autos von der Spedition abholen. Zwei Autos? Ja denkt der denn, da gäbe es rein zufällig zweimal das gleiche Reisemobil mit der gleichen Fahrgestellnummer im Hafen? Ja sind die denn nur bescheuert? Ekki, bleib ruhig!! Sag‘ jetzt nichts, du bist schließlich kurz vorm Ziel (dachte ich jedenfalls zu diesem Zeitpunkt!) und willst jetzt nichts verderben. Nach einem Telefongespräch und weiteren Belehrungen („Kommen Sie bloß nochmal hierher, wenn Sie den Wagen aus dem Hafen haben, sonst ist das Steuerhinterziehung und…“) bekomme ich meinen Verwahrwechsel und habe nach 1 ½ Stunden auch Verständnis für die Drohungen – wer kommt denn nach so einer Erfahrung freiwillig in diese Beamtenhölle zurück?

 

Elke und Horst sind sehr geduldig und haben noch nicht einmal schlechte Laune! Sie bringen mich zum Schuppen 48 und bleiben auch bei mir, bis ich mit dem Wagen aus dem Sperrgebiet komme – das  dauert bei den Vollprofis summa summarum nicht einmal eine Stunde und so verabschiede ich mich nach ein paar Fotos um 13.40 Uhr von den Beiden, rufe nochmal meine Kathrin an um ihr mitzuteilen, dass alles in Ordnung ist und begebe mich zurück in die Zollhölle.

 

Hier reicht die Warteschlange inzwischen bis zum Ausgang und in der Luft riecht es nach Revolution! Ich stelle mich wieder an und während der ½ Stunde, die ich dieses Mal warten darf, lerne ich meine spätere persönliche Beraterin kennen: Eine etwas moppelige blonde Beamtin erreicht mit Picknickkorb (echt wahr – mit Isolierkanne, Obst, Brotdose, kleinen Naschereien…alles mit einem sauberen Geschirrhandtuch abgedeckt, fast wie Rotkäppchen ohne Käppchen!) den Tresen 1, die Wartenden begrüßen sie freundlich (endlich Verstärkung!), sie stellt ihr Körbchen am Schreibtisch ab und weg ist sie. Nach 15 Minuten kommt sie erst zurück und wer hat das Glück, diese Krone der Zollabfertigung erleben zu dürfen? Sie nimmt sich meiner vor langer Zeit vierfach ausgefüllten Zollerklärung an, lässt sich geduldig berichten, wer ich bin, was ich bin, was mein Ziel ist, schüttelt dann ihr Haupt und leitet ihren Monolog wie alle vor ihr mit den berühmten Worten ein: „So einfach ist das nicht!“ Ihr Problem mit mir ist nun, dass ich den Wagen nicht die ganzen acht Jahre über, während der ich in den USA weilen durfte, gefahren habe, sondern dass ich den Wagen 2009 nachgeholt habe. Auch mein Hinweis, dass sogar ein NATO-Beamter das Recht hat, ab und zu ein neues Auto zu kaufen und dass es ihm als internationaler Beamter freisteht, ob er es in den USA, in Europa oder in Bangladesch  kauft, kann sie nicht beruhigen. Das muss sie prüfen und das tut sie dann auch, denn stundenlang höre und sehe ich nichts mehr von ihr. Ich solle doch Platz nehmen und es mir gemütlich machen, sagt sie noch beim Gehen – wie denn? Die drei Stühle sind ständig besetzt und werden scheinbar nur unter Truckern weiter vererbt, also muss ich stehen und auf „Standby“ schalten.

 

Um 15.30 Uhr kommt sie aus ihrem Versteck – sie muss sich das Auto ansehen und die Fahrgestellnummer abgleichen, wo denn das Auto stehen würde? Auf dem Parkplatz? Geht gar nicht, es muss an die Rampe – obwohl die doppelt so weit von ihrem Schreibtisch entfernt ist? Ok, vielleicht hat ihr der Arzt ja ein Fitnessprogramm empfohlen, schaden kann es ihr eigentlich nichts. Also Auto umfahren, der Lady Bescheid sagen und dann bemüht sie sich zur Rampe. Wo denn die Fahrgestellnummer sei? Bei PKW wüsste sie das ja, aber bei Reisemobilen? Ich muss auch verneinen, finde dann aber einen Aufkleber (gilt ja eigentlich nicht) am Fahrersitz, auf dem neben dem Reifendruck und anderen Informationen auch die Fahrgestellnummer vermerkt ist. Zum Glück beginnt es gerade zu regnen – ein Blick nach oben und dann kommt das erleichternde „Ok, das reicht mir!“

 

Wieder warten, dann teilt sie mir bedauernd mit, dass ich 1000 € Kfz-Steuer entrichten müsse, das hätte sie, so sehr ihr das leid tue, inzwischen mühsam herausgefunden. Sie schaut etwas pikiert, als ich ihr mitteile, das mir das sehr wohl bekannt sei, das wäre nun einmal so und die Steuer würde hinterher über die Jahre verrechnet – sollte ich hier vielleicht mal eine Fortbildung durchführen? Ich gehe also brav an die Kasse, zahle per EC-Karte und schaue dem dortigen Beamten bewundernd zu, wie er Formblatt, Quittung und EC-Beleg sauber aneinander heftet, an einer Ecke umbiegt, noch einmal heftet und mit einem Stempel versiegelt. 10 Minuten später bittet er mich leise wieder in den Kassenraum – er hat aus Versehen den Kundenbeleg behalten und mir den Originalzahlbeleg an meine Quittung gesiegelt. Hier arbeiten wirklich nur Bekloppte, denn ich war an dem ganzen Nachmittag sein einziger Kunde!!!

 

Wieder eine Stunde später – mein Rücken macht sich inzwischen deutlich bemerkbar! – kommt meine persönliche Betreuerin und meint strahlend, wir hätten es nun bald geschafft, sie müsse sich aber noch einmal mit mir das Auto ansehen. Schließlich wäre das ja Umzugsgut und wenn jemand wie ich so ein wertvolles Fahrzeug umsonst (!!!) nach Deutschland bringen will, dann müsse man das doch ganz genau prüfen. Sie lässt sich alles zeigen, besonders die Campingstühle betrachtet sie sehr misstrauisch und klärt mich darüber auf (was jeder Auslandsdeutsche sowieso weiß), dass alle Gegenstände, die man mitbringt, mindestens ein halbes Jahr in Gebrauch sein müssen. Als ich ihr erkläre, diese Stühle seien bereits vier Jahre alt, kurz vorm Auseinanderfallen und hätten beim Walmart auch nur 12 Dollar das Stück gekostet, lässt sie sich erklären, was ein „Walmart“ sei – ja, ja, die weitgereisten Hamburger!!  Es geht wieder hinein. Nach einer weiteren Stunde kommt sie strahlend mit dem Ergebnis ihrer mehrstündigen Bemühungen, die sie mir stolz wie Oskar präsentiert: Eine 5-zeilge, handgeschriebene Zollbescheinigung, die mir ehrlich gesagt, sch…. egal ist, denn die hefte ich ab und brauche sie nie wieder. Also frage ich meine Betreuerin, wo ich denn die Freistellung für die Zulassungsstelle finde, damit ich dem Auto auch wieder ein deutsches Nummernschild spendieren kann – Augen rollen und stöhnen sind die Reaktion, denn das hat sie vergessen!!!! Ihr Kommentar: Das würden sonst immer die Speditionen beibringen und sie müsse das dann nur noch unterschreiben und stempeln. Sie wisse gar nicht, ob sie so einen Vordruck hätte und wo sie den denn im Internet finden könne. Ich lasse sie mit ihrer Verzweiflung  allein und hechte auf den ersten frei werdenden Sitzplatz (ihr erinnert euch – es gibt nur 3!), mein Rücken bringt mich langsam um. Als ich mich umsehe, merke ich, dass ich inzwischen fast allein bin! Ich glaube schon, dass ich nie mehr weg komme aus diesem Vorhof der Bürokratenhades, als meine Fürstin der Hölle plötzlich vor mir steht – nach knapp 15 Minuten! – und mir triumphierend die Freistellung unter die Nase hält! Unglaublich: Es ist 17.50 Uhr und es ist vorbei – ich darf den Zollhof zusammen mit Roadrunner verlassen. Wir sind wieder zu Hause!

 

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