Das Baltikum 2

Schweren Herzens trennen wir uns schließlich von dem Traumplätzchen. Bis Cesis (dort braut man ein leckeres Bier!) geht es auf Piste, dann auf der P 14 nach Limbazi und auf der nicht zu guten P 11 nach Tuja.

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Hier, wieder nach einigen Kilometern Piste, gibt es einen schönen Stellplatz auf der Steilküste mit „unverbaubarer Aussicht“! Der einzige Aufreger des Tages: Eine Immigration-Kontrolle am Abbieger zur P 11, ansonsten überall ruhige Sonntagsstimmung.

Da auch für morgen blauer Himmel angekündigt ist, beschließen wir, einen weiteren Tag hier zu bleiben, ein wenig am Strand spazieren zu gehen – kurz: „Urlaub zu machen!“

Auch als wir schließlich weiter fahren, bleibt uns das gute Wetter erhalten. Es geht zurück auf die A 1 und auf sehr guter Straße, aber bei enormem LKW-Verkehr immer nach Norden. Kurz vor der Grenze nach Estland tanken wir noch einmal günstigen Diesel (der ist in Estland rund 5 Ct teurer) und füllen an einem der großen Alko-Supermärkte den Bier- und Weinvorrat auf – hier kaufen Finnen und Esten im großen Stil ein! Von nun an nutzen wir eine weitere Stellplatz-App: Das staatliche Forstmanagement Estlands (RMK) hat eine eigene App aufgelegt, auf der alle Wander- und Badeplätze vermerkt sind – inklusive Wegbeschreibung, Karte und Ausstattung. Nach einem Einkauf in Pärna stehen wir eineinhalb Stunden später auf dem RMK-Wanderparkplatz in Paekula. Der letzte Kilometer dort hin ist nicht zu komfortabel: Nach alter Sitte wandert ein Kissen ins Geschirr- und Gläserfach, denn den Schlaglöchern kann man auf dem engen Weg (ein ehemaliger Bahndamm) nicht ausweichen. Der Platz ist klein – zuerst mussten wir den Forstmitarbeiter rauslassen, der gerade für Feuerholznachschub gesorgt hatte. Anschließend rangieren wir eine Weile rum, denn selbst für unsere schlanke Exe ist es hier doch ziemlich eng, aber nach knapp 15 Minuten stehen wir zufriedenstellend gerade.

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Nach einer fantastischen Nacht ohne Lichtverschmutzung und mit atemberaubendem Sternenhimmel geht es vorsichtig rückwärts zurück auf den Fahrdamm und wieder mit Kissen im Gläserfach zurück zum Asphalt. Bei massenhaftem LKW-Verkehr geht es nun auf der 4 nach Tallinn, besser gesagt zu einem Vorort mit Namen „Saue“. Hier gibt es einen ruhigen Campingplatz im Grünen und gerade ein Kilometer davon entfernt einen Bahnhof.

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Von hier gelangt man innerhalb von gut 30 Minuten direkt zum Kopfbahnhof von Tallinn, der selbst genau am Rand der schönen Altstadt liegt. Wie fast immer ist die Rezeption geschlossen, ein Anruf ergibt, dass der Platz noch bis zum Wochenende geöffnet hat. Bezahlt wird mit Bargeld per Briefumschlag, also auf Vertrauensbasis. Ein weiteres Wohnmobil, ein Van, ein Caravan – das ist es auch schon. Wir machen uns stadtfein und sind 15 Minuten später am Bahnhof.

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Bezahlt wir in der Bahn an einem Automaten per Kreditkarte: Es gibt kein Ticket, auch keinen Zahlungsbeleg – kontrolliert wir durch Zeigen der Kreditkarte: Die Schaffnerin vergleicht die letzten vier Ziffern der Kartennummer, das war‘s auch schon. In der Stadt beginnen wir für eine bessere Übersicht mit dem Domberg und stromern anschließend durch die ganze Altstadt

bis zur „dicken Margarethe“, dem dicksten Turm der eindrucksvollen Stadtmauer ganz im Norden.

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Schließlich sind wir froh, wieder im Zug zu sitzen: Der Himmel ist zwar immer noch blau, aber der eisige Wind hat es in sich – Rücken und Gelenke freuen sich über die angenehme Wärme!

Leider ist nun erstmal Schluss mit dem schönen Wetter. Es geht morgens mit Schirm zur Dusche – schön, dass man gerade hier und jetzt mit einer Fußbodenheizung verwöhnt wird! An der Umgehung wird gerade gebaut und mit hinweisenden Schildern hat man es hier nicht so – es dauert 20 Minuten, bis wir in der korrekten Richtung auf der 11 landen! Wir umfahren Tallinn sechs Kilometer und nachdem wir wieder auf der 1 sind, biegen wir ab zum größten Wasserfall Estlands, dem Jägala. Am Ende des Sommers ist die Wassermenge zwar etwas schwach, aber trotzdem fotogen. Man kann sich gut vorstellen, wie eindrucksvoll der Fall wirken muss, wenn er auf der gesamten Breite über die Stufe donnert.

Dann geht es weiter bis kurz vor Kohtla-Järve. Hier stehen wir auf dem großen Strand-Wiesenplatz am Ende der 194 in Aa. Im Sommer sicher gut voll, nun aber stehen wir wieder einmal allein und können uns nur langsam entscheiden, welchen der schönen Plätze wir besetzen wollen. Übrigens ist das hier nun der nördlichste und östlichste Punkt unserer Tour.

Zurück zur 1, dann wechseln wir nach ein paar Kilometern auf die 3 und es geht ohne besondere Vorkommnisse nach Tartu. Der Stellplatz am Yachthafen ist unser Ziel, denn von hier ist man zu Fuß in 20 Minuten am Rathaus.

Das tun wir denn auch und finden es wirklich nett hier: Viel Klassizismus, Uni-Stadt, also viel junges Volk, nicht zu groß, übersichtlich. Lediglich auf dem schönen Rathausplatz hält sich Kathrins Fotografierlaune ein wenig in Grenzen, denn genau an diesem Wochenende ist hier Start und Ziel eines großen Volkslaufes und der gesamte Platz ist mit Zelten, Absperrungen und Verkaufsbuden gefüllt.

Die Nacht ist, obwohl mitten in der Stadt, verblüffend leise – nur die „Stadionbeleuchtung“ hat etwas genervt: „Alle Rollos zu!“ Um 11 Uhr wollen wir los und kommen genau 200 m weit: Die Laufroute des Volkslaufes geht direkt am Platz vorbei und kreuzt die Ausfahrt. Als wir endlich fahren dürfen, erwischt es uns an der Ausfallstraße nach Süden gleich nochmal, denn nun sind die Läufer gerade dort angekommen.

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Insgesamt stehen wir mehr als eine halbe Stunde, aber wir haben ja alle Zeit der Welt! Außerdem wollen wir nur gut 50 Kilometer südlich ans Wasser: In der Nähe von Otepää (dem Wintersportzentrum Estlands mit eigener, großer Skisprungschanze)

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gibt es an einem kleinen See in Pilkuse wieder einen RMK-Platz und der ist für heute unser Ziel. Zuerst freuen wir uns noch, denn es ist Sonnabend und wir stehen trotzdem allein hier. Ein paar Stunden später kommt jedoch ein estnisches Wohnmobil mit einer dreiköpfigen Männerrunde und wir befürchten so einigen Lärm, als nach einem ersten, gemeinsamen und kräftigen Schluck aus der Wodkabuddel zuerst eine Kettensäge (Feuerholz muss sein!) und dann neben einer Unmenge von Grillzubehör auch noch ein Ghettoblaster zum Biwakplatz transportiert wird. Letztendlich zum Glück alles halb so schlimm: Zwar gibt es für eine gute Stunde erstmal ein „Kettensägen Massaker“ und danach wird auch Musik am Grill abgespielt – aber alles in mäßiger Lautstärke und nicht wirklich störend.

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Am nächsten Morgen sind „die Jungs“ sogar schon vor uns „up and away“. Es geht nun über Voru noch ein Stück weiter nach Osten, denn wir haben Glück: Wir wollen uns die Sandsteinhöhlen von Piusa ansehen. Das geht allerdings nur per Führung und das Museum ist im Oktober nur am Wochenende geöffnet und was für ein Tag ist heute? Sonntag! Um 12 Uhr wird geöffnet, 20 Minuten vorher sind wir bereits da.

Die Höhlen sind durch den unterirdischen Abbau von Sandstein entstanden und jetzt der Hautüberwinterungsplatz der Fledermäuse im Umkreis von 100 Kilometern. 13 Arten verschlafen hier mehr als sechs Monate lang den kalten Winter.

Weiter geht es danach auf der 182 über Obwitsa zur Burg Neuhausen.

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Hier halten wir lediglich auf ein paar Fotos, dann geht es auf mäßig guter Straße hinüber nach Lettland und weiter nach Balvi zum Stellplatz am Strandbad, neben einem Gutshof mit Park und einer Reihe unbewohnter, teilweise abbruchreifer Häuser.

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Heute ist Feiertag in Deutschland – Tag der deutschen Einheit! Die Feiertagsstimmung bei uns hält sich in Grenzen, denn seit 5 Uhr morgens regnet es ununterbrochen und stürmisch soll es auch noch werden. Wir nutzen das Sauwetter zu einem Lebensmittelgroßeinkauf, dann geht es auf mittelmäßiger Strecke, aber wenigstens mit ordentlich Rückenwind gen Süden. Ungefähr auf halber Strecke nach Rezekne bemüht man sich um Besserung der Straßensituation: Rund 10 Kilometer Baustelle mit insgesamt drei langen, einspurigen Ampelstrecken, auf Piste mit jeder Menge Schlaglöcher – und das bei dem Wetter, wir sind begeistert!

Wir umfahren Rezekne großzügig, dann geht es zum See Raznas ezers, der sich im gleichnamigen Nationalpark befindet. Hier halten wir an einem Badeplatz mit tollem Seeblick. Das nutzt zwar im Moment bei dem Sch….wetter nicht viel, aber man kann sich vorstellen, dass es hier sehr schön sein kann. Da die Wiese, auf der wir stehen, schon langsam voll läuft, schalten wir für die Abfahrt morgen lieber vorsichtshalber den Allrad ein. Außerdem stellen wir Exe mit der Nase in den Wind, damit wir nicht so durchgeschüttelt werden. Heizung an (draußen sind am frühen Nachmittag nur 5°C!) und gut is für heute – nur nicht zu viel nach draußen schauen!

Also lenken wir uns ab – Kathrin kümmert sich um das Sortieren ihrer Fotos (mittlerweile bereits 880!), ich schreibe am Blog und zum Trost kocht meine Frau abends aufwendig – es gibt Bauernfrühstück, aber mit Käse überbacken aus dem Ofen, sehr lecker! Abends gibt es dann eine „Diashow“, danach müssen wir dringend ins Bett und Sturm wie Regen sind uns jetzt einfach schietegal!

Am nächsten Morgen ist es „nur noch“ windig mit einer Reihe von Nieselschauern… so richtig hell wird es aber den ganzen Tag über noch nicht. Wir fahren zuerst auf Piste rund 30 km um den See herum nach Malta (nein, nix Mittelmeer!) und dann bis kurz vor Daugavpils, denn das erste Ziel heute sind die Ruinen der Dinaburg. Vom Parkplatz aus gibt es einen kleinen, aber feinen Rundweg zu den wenigen Überresten (lediglich die Grundmauern sind noch da) der wirklich toll gelegenen Burg. Da so wenig übrig ist, hat man wirklich liebevoll ein Modell der Burg gebaut und dort ausgestellt.

Anschließend geht es über die Grenze nach Litauen. Von Zarasai aus „schaukeln wir uns“ bei gewohnter, litauischer Nebenstraßenqualität auf der 102 über Dukstas nach Ignalina. Von hier aus sind es nur noch ein paar Kilometer nach Paluse. Hier hat sich ein kleines Touristenzentrum entwickelt und wir stehen auf einem offiziellen, kostenfreien Zeltplatz am öffentlichen Strandbad unter Kiefern. Im Sommer soll hier der Bär tanzen, aber jetzt stehen wir wieder ganz alleine hier.

Bei einem leckeren, ungefilterten lettischen Pils genießen wir den Seeblick, denn es ist zwar immer noch extrem frisch, aber inzwischen wenigstens zeitweise wieder trocken. Vielleicht ein kleiner Einschub zum Thema „Bier“: Schon in Polen, aber erst recht im ganzen Baltikum herrscht eine ganz hervorragende Bierkultur. Wir „sammeln“ ständig die unterschiedlichsten Craft- und Spezialbiere und haben uns „leider“ angewöhnt, jeden Tag nach Abschluss des Tagesprogramms ein leckeres isotonisches Getränk zu genießen – es schmeckt einfach zu gut! Kathrin meinte schon ganz richtig, das müsse dringend aufhören, wenn wir wieder zuhause sind…sonst können wir uns bald durch die Gegend rollen!

Nun geht es aber zur letzten baltischen Stadtbesichtigung nach Vilnius. Unser Stellplatz befindet sich in unmittelbarer Nähe zur schönen Altstadt, quasi direkt an der „Grenze“ der „Freien Republik Uzupis“, einem alten Stadtteil und Künstlerviertel: Auf drei Seiten vom Fluss Vilnia umgeben handelt es sich um einen geschlossenen Bereich.

Zur Sowjetzeit wurden die damals leerstehenden Häuser von Kriminellen, Obdachlosen und Prostituierten bewohnt. Viele Häuser hatten weder Strom noch sanitäre Anlagen. Seit Litauen unabhängig ist, hat sich das Viertel zu einem begehrten Wohnquartier entwickelt und wird gern mit dem Montmartre in Paris verglichen. Hier gibt es (wie lange noch?) das Hostel „Downtown Forest“. Dort hinzukommen ist gar nicht so einfach, denn rund um das Gelände wird eifrigst gebaut – es gibt also Sperrungen, vorübergehende Einbahnstraßenregelungen usw. Außerdem gibt es neben einer kleinen Zeltwiese nur sechs Womo-Stellplätze, aber jetzt, außerhalb der Saison, können wir selbst daraus in Ruhe aussuchen.

Wir erkunden zuerst natürlich die Republik, danach geht es weiter in die Altstadt. Anschließend natürlich wieder bergauf und mit viel Treppe: Der Burgberg mit dem Gediminaturm muss erobert werden, denn von hier aus hat man die beste Aussicht auf die Altstadt.

Die ist als nächstes dran: Kathedrale, Herzogenpalast, weiter durch das große und sehenswerte Universitätsviertel und am Präsidentenpalast vorbei zum Rathaus.

Hier staunen wir nicht schlecht, denn irgendein Volltrottel hat es geschafft, sein Auto auf den Kopf zu stellen – und das mitten auf der breiten Zugangstreppe des Rathauses. Erfolgreiches Powerdrifting sieht anders aus und würde es sich um eine künstlerische Installation handeln, dann stünde dort wahrscheinlich nicht die Polizei und würde das Ganze protokollieren.

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Zurück geht es schließlich über die große Hauptgeschäftsstraße und abends gibt es eine der besten Pizzen, die wir bisher essen durften: Mit Burrata, echtem Bufalokäse, gekochtem Arosta-Schinken, Trüffelcreme und einem Teig….zum Schielen!

Als wir in der kleinen Pizzeria Platz nehmen, können wir unseren Tisch noch auswählen und werden nur darauf hingewiesen, dass wir binnen zwei Stunden fertig sein sollten, danach wäre reserviert. Als wir gehen, staunen wir allerdings nicht schlecht, denn vor dem Restaurant wartet eine Schlange von mindestens 20 Leuten!

Heute wird uns endgültig klar – wir sind auf der Rückreise! Zwar haben wir noch ein Highlight in Litauen vor uns, aber morgen sind wir schon wieder in Polen. Es dauert ein wenig, bis wir das lebhafte Vilnius hinter uns lassen, aber bereits nach gut 20 Kilometern darf Exe schon wieder Pause machen: Wir sind in Trakai. Hier steht eine Burg, das touristische Highlight schlechthin, eine Burg, wie man sich eine Burg eben vorstellt – auf einer kleinen Insel im See, nur über eine Brücke zu erreichen.

Das könnte ein Modell für Playmobil sein und laut der Beschreibung unseres Reiseführers ist hier immer etwas los, egal zu welcher Jahreszeit. Ganz unrecht haben die Autorinnen nicht, verglichen mit der sonstigen Ruhe ist es hier tatsächlich etwas quirliger und es gibt doch einige Souvenirbuden mehr als anderswo, das gilt auch für die unverzichtbaren Instagram-Pärchen, die halb die Brücke sperren, um vor Handy mit Stativ (!) ordentlich zu posen. Danach geht es Richtung Grenze. Nachdem wir noch einmal eine sechs Kilometer lange, einspurige Pistenbaustelle mit mehreren Ampelabschnitten durchfahren dürfen,

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schließt sich in Alytus der Kreis, denn hier sind wir vor gut vier Wochen auf dem Hinweg vorbei gekommen! Eine letzte Übernachtung an einem traumhaften Badeplatz bei Seirijai, dann sind wir wieder in Polen.

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