Das Gefühl beim Durchqueren der Türkei war auf der Hinfahrt bereits etwas gespalten, jetzt setzt sich dieser Eindruck scheinbar fort. Wir sind wie auf dem Hinweg auf der Schnellstraße unterwegs.

Irgendwo in einer Stadt noch vor Trabzon machen wir auf einem offiziellen Parkplatz einen Pinkelstopp. Ich sitze noch nicht mal auf unserem „Thron“, da klopft es bereits heftig an unsere Scheibe, ein aufgebrachter Türke steht draußen, schnauzt uns auf türkisch an und macht uns klar, dass wir sofort verschwinden sollen. Kathrin beruhigt ihn und versucht ihm klarzumachen, dass wir sowieso gleich wieder los wollen. Dann sondiert sie die Lage: Offizieller Parkplatz, jede Menge PKW, aber auch noch jede Menge Platz, so dass wir niemanden behindern – was will er? Ich bin kaum fertig, da kommt er schon wieder unter Drohgebärden angewetzt und biegt erst ab, als er sieht, dass der Wagen bereits rollt. Ja, wir sind beliebt in der Türkei?! Zum Glück sind nur wenige Leute so, aber doch ein deutlicher Unterschied zu früher!
Bei Trabzon schließlich erwischt uns das erste, schwere Gewitter – danach kommen noch einige, die aber weniger heftig sind und nicht gleich die ganze Straße komplett unter Wasser setzen. Ab Ordu wird es nervig, denn wegen der Unwetter wird es jetzt schnell dunkel und wir wollen wie immer vermeiden, im Dunkeln zu fahren. Außerdem setzt jetzt verstärkt der Berufsverkehr ein und wir müssen nun ausgerechnet hier mitten durch die Stadt. Um 17.30 Uhr erreichen wir im strömenden Regen Persembe auf der Halbinsel, auf der wir schon auf dem Hinweg einen netten Stellplatz gefunden hatten. Jetzt, im fast Dunklen und im Regen, ist das bei weitem schwieriger. Zum Glück entdeckt Kathrin am Ende des Zentrums neben einem Restaurant (Restoran Ceren) direkt am Strand einen zurückliegenden Parkplatz, der im Moment scheinbar fast nur von Anglern genutzt wird. Wir fahren rauf, Kathrin fragt am Restaurant, an dessen Tür schon jemand wartet: „No Problem!“. Na also, so geht es doch auch!
Wir stellen uns ganz in die Ecke und dank Exes „Tarnfarbe“ sieht man uns bei dem trüben Wetter fast nicht mehr. Umziehen und ab zum Essen – trotz Regen können wir oben auf der überdachten Terrasse im Freien sitzen und essen: Sigara Börek als Vorspeise, Kiymali Pide mit Hack für uns beide, für mich in Pizzaform mit rohem Ei oben drauf, dazu auf Kosten des Hauses zwei Salate (einer mit Nudeln und einer mit Pickles), dazu zwei Cola (muss ja!) für umgerechnet knapp 7 €. Abschließend spazieren wir noch durch den Ort, der in der Saison sicher attraktiver ist als jetzt im nassen Dunkel. Abschließend gibt es noch eine Flasche georgischen Mukusani (hallo Tertia!) und zwei ChaCha auf unseren Hochzeitstag.
Nach einer doch etwas unruhigen Nacht (viele Fischerboote, Müllmänner, Muezin, Wetter…) frühstücken wir noch trocken, gleich nach derAbfahrt umfahren wir noch einmal bei strömendem Regen die nette Halbinsel, die außerhalb der Saison mindestens noch drei bis vier weitere Stellplätze zu bieten gehabt hätte – sogar unser Restaurant vom Hinweg hat noch geöffnet, dort hätten wir also auch wieder stehen können! Dann geht es auf der bereits bekannten D 010 bei absolutem Sauwetter mit teilweise komplett überfluteten Fahrspuren (wieder einmal: Wie gut, dass wir die neuen Reifen haben!) über Trabzon nach Samsun.

Hier biegen wir von der alten Route nach Südwesten in die Berge ab. Es geht über mehrere Pässe bis auf 1000 m, das Sch…wetter bleibt uns dabei treu, mit 6°C wird es nur zusätzlich noch immer kälter. Ab Merzifon geht es bergab auf rund 500 m und es ist mit 10°C etwas wärmer. Da der Wetterbericht für Ilgaz Schnee und Nachtfrost von -3°C vorhersagt, schauen wir bereits kurz vor Osmancik auf der 785 nach Stellplätzen. Links ab – Landwirtschaft, Ziegeleien, zersiedelt…is nix!

Also durch den Ort und rechts ab in die Berge in Richtung Kamil. Nach 8 Kilometern finden wir links, bevor es in Serpentinen richtig bergauf geht, an einer Wasserstelle einen etwas abseits liegenden, teilweise verdeckten Stellplatz – leider wieder einmal völlig verdreckt und vermüllt. Da es mit 9°C immer noch kalt ist und es auch weiter regnet, ist uns das alles heute völlig egal. Auf der kleinen Straße ist erstaunlicherweise richtig viel los – inklusive Schwerlastverkehr – aber man ignoriert uns zum Glück völlig. Heute gibt es den geschenkten Spinat, dazu Nudeln und die für die schnelle Küche in Georgien besorgten, tiefgekühlten Hähnchenschnitzel – Kathrins Kommentar zur Qualität derselben: „Toll, echt stabile Panade!“

Am nächsten Morgen ist der Himmel wieder strahlend blau, schon bietet die Landschaft einen völlig anderen Eindruck als am Tag zuvor: Wir fahren durch eine eindrucksvolle Berglandschaft (Winnetou und Karl May lassen grüßen!), dann geht es nach einem Minipass hinunter und plötzlich werden wir überrascht, denn auf unserer Landkarte gibt es hier keinen Stausee und die dort eingezeichnete Straße müsste nun deutlich unter Wasser liegen – das Navi hingegen sagt: „Kenne ich!“ So ist das mit dem Kauf aktuellster Straßenkarten im Zeitalter der Sat-Navigation!!
Dann geht es auf die 100 und bei Ilgaz (knapp 1100 m hoch ) fahren wir schon knapp unter dem frisch gefallenen Schnee durch und die Straße ist weiß vom Streusalz – scheinbar haben wir gestern alles richtig gemacht!

In Gerede (Wintersportort) liegen noch Schneereste und hinter Bolu, wo es hinunter nach Düzce geht, liegt sogar noch Schnee auf der Straße und daneben finden fröhliche Schneeballschlachten von Schülern, Studenten oder Fernfahrern statt.
Innerhalb weniger Kilometer geht es nun von 1300 m auf 400 m Höhe hinunter, temperaturmäßig von 5°C auf 18°C bei Adapazari. Verkehrsmäßig ist seit Düzce die Hölle los, wir tanken noch schnell und finden sogar noch eine Bäckerei, die das berühmte Trabzon-Ekmek anbietet, zusätzlich kauft Kathrin och ein warmes Weißbrot und Sesamkringel – die Bäcker hier verstehen ihr Handwerk, denn der Wagen duftet unwiderstehlich!!
Der dichte Verkehr bleibt uns erhalten, selbst als wir in Richtung Iznik abbiegen und auch danach auf kleiner, gelber Straße ist viel los. Heutiges Ziel ist der ebenfalls schon von der Hinfahrt bekannte Picknickplatz am Izniksee – kurz vor Sonnenuntergang kommen wir dort an – wieder am Freitag, aber einen Monat später. Zum Abendbrot gibt es….? Richtig: Brot, Brot, Brot, saulecker!! Nach dem Essen klopft es und draußen steht Erol Bektash mit einem Glas leckerer Oliven aus eigener Ernte als Gastgeschenk. Wir freuen uns, bis wir merken, dass Erol „nicht mehr alleine“ ist – will sagen, da sind außer Alkohol noch eine Reihe anderer bewusstseinserweiternder Drogen im Spiel. Er hat den ganzen Tag vor einer Hütte nebenan alleine verbracht. Wir sind ein wenig erschüttert: Erol kann so gut wie kein Deutsch, ist aber in Deutschland geboren. Mit 10 Jahren – wenn wir das richtig verstanden haben, was bei seinem Zustand etwas kompliziert war! – ist er zurück in die Türkei. Sein Vater war in Deutschland (genau wie er selbst später in der Türkei) zuerst als Metaller, dann als Gewerkschafter tätig. Sein Vater war sein Vorbild, seine Erfolge als Gewerkschafter, der für türkische Landsleute verantwortlich zeichnete, war sein Ansporn, ihm es in der Türkei gleich zu tun. Das waren keine Sprüche, denn er hat eindrucksvolle Videos auf seinem Handy, die ihn u.a. bei Fernsehinterviews oder als Redner auf gewerkschaftlichen Großveranstaltungen zeigen. Was dann geschah, bleibt wegen der mangelnden Verständigungsmöglichkeiten zwischen ihm und uns trotz Übersetzungssoftware auf dem Handy im Dunkeln. Er sagt immer wieder: „Deutschland gut – Demokratie, Türkei schlecht!“ „Türkische Politik – Diebe!“ und schließlich „Ich bin müde, sehr müde!“ Nach 1 ½ Stunden (!) beginnt er plötzlich zu weinen, drückt mich ein paar Mal, winkt und ist weg. Puuh, was war das? Was soll man davon halten? Sehr nachdenklich bleiben wir noch lange sitzen und versuchen uns ein Bild zu machen – auf alle Fälle ist und bleibt Erdogan vor allem für die Intellektuelleren ein echtes Problem – wie das so ist mit Populisten und Diktatoren: Die Straßen, die in den letzten Jahren gebaut wurden, sind absolut Spitze!!!
Nachdem der eine, dauerbellende Hund nachts gegen 1 Uhr abgezogen ist, hatten wir eine ruhige Nacht. Heute geht es weiter über Gemlik, allerdings nehmen wir dieses Mal danach die Autobahn, um an Bursa vorbei zu kommen. Stadthektik herrscht auch hier, aber kein Vergleich mit der Hinfahrt! Dann geht es auf der immer ruhiger werdenden 200 immer nach Westen über Cardak (erste Fähre über den Bosporus: Große Lkw-Schlange) nach Lapseki (Riesenschlange, die Fähre nehmen wir aus Angst, die letzte Fähre – die von der Hinfahrt! – in Canakalle könnte noch voller sein). Wir reihen uns in die rund 4 km lange Schlange ein und warten 2 Stunden, aber ohne Hektik, aufs Einschiffen. Ohne Hektik deshalb, weil orientalische Autofahrer eigentlich immer zu sportlichem Ehrgeiz in Bezug aufs Drängeln neigen – ist wohl genetisch bedingt!? Jedenfalls muss man beim Anstehen normalerweise mit einem Fuß auf dem Gaspedal stehend warten, denn sobald man aus Versehen zu spät reagiert und eine Lücke lässt, hat sich sofort jemand vorgedrängelt, aber…hier nicht, denn hier warten Trucker und Pkw zusammen! Zweimal versucht ein Pkw zaghaft, sich an der Schlange vorbei in eine Lücke vor einem Lkw zu schieben – das hätte er lieber nicht gemacht: Lkw-Fahrer steigt aus, klopft „ein wenig“ am Pkw-Fenster an, sagt etwas und schon kurbelt der Pkw-Fahrer hektisch am Lenkrad, kehrt um und ordnet sich brav hinten ein. Die meisten anderen kennen das scheinbar schon, deshalb: Warten ohne Hektik!
Um 16 Uhr sind wir wieder heil in Europa und 15 Minuten später stehen wir erneut an dem netten Restaurant mit der vorzüglichen Küche bei Gelibolu und mit vorzüglichem Wetter, blauem Himmel und 24°C.
Wir merken, dass wir uns langsam auf den Winter zu bewegen. Morgens um 7 Uhr ist es noch stockfinster, aber nach der Grenze in Griechenland herrscht seit heute Winterzeit, da bekommen wir ja zum Glück wieder eine Stunde geschenkt. Es geht zurück nach Kesan, wo wir in dem Riesensupermarkt alle unsere Vorräte auffüllen – dank hoher Inflation gelingt das für nicht einmal 30 €. Noch einmal günstig volltanken zu einem Literpreis von 85 ct/l, bei den Preisen nehmen wir doch auch noch einen 10 l-Kanister Adblue für 7,50 € mit, das können wir nicht auslassen! Die Grenzformalitäten dauern dieses Mal etwas länger, da außer uns noch mehrere Pkw hinüber in die EU wollen, doch nach 45 Minuten ist auch das geschafft und wir fahren noch zwei Stunden auf der Autobahn weiter gen Westen. Dank der Park-4-Night App (vielen Dank nochmal für den Tipp, Kathi und Dirk!), die ab Griechenland wieder gute Dienste leistet, finden wir schnell bei Serraiki Akti, Kastron einen schönen Strandplatz, sogar mit funktionierenden Klos, allerdings wieder einmal in erbarmungswürdigem Zustand!
50 m vor uns steht ein Rundhauber mit Wohnaufbau aus Holz – sieht fast wie ein alter Zirkuswagen aus – mit kompletter Ausstattung: Zwei Enduros, zwei Fahrräder, Paddelboot…
Kathrin kümmert sich hoffentlich ein letztes Mal um unser Bremslicht, da wir festgestellt haben, dass auch Gernot einen Fehler gemacht hat: Die Zweifadenlampe ist immer noch verdreht angebracht. Das merken wir deshalb, weil nun auch die rechte Lampe kaputt ist und als Kathrin die austauscht, haben wir eine bunte Lightshow. Kathrin studiert die Situation gründlich und dann funktioniert plötzlich endlich alles tatsächlich so, wie es sein soll! Nun ist Schluss mit Transit, in Griechenland wollen wir schließlich den ersten Teil des Winters verbringen, doch davon im nächsten Blog mehr!